Verantwortung übernehmen für kolonialrassistische Präsenz in der Öffentlichkeit – Wir fordern die Abhängung des „Sarotti-M.“
Offener Brief an die Geschäftsführung des Capitol Mannheim, interessierte Kommunalpolitiker*innen der Rhein-Neckar-Region, lokale Verbände und Vereine, interessierte Medienvertreter*innen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen.
Die Unterzeichner*innen dieses offenen Briefes fordern sowohl die Capitol-Geschäftsführung als auch die Stadtspitze und Mandatsträger*innen dazu auf, die deutsche Kolonialgeschichte, die auch in Mannheim ihre Spuren hinterlassen hat, und den damit verbundenen Rassismus, der sich in öffentlichen Institutionen wiederfindet, mit der gebotenen Sensibilität aufzuarbeiten und die notwendigen politischen Maßnahmen zu treffen. Insbesondere fordern wir, dass Abbildungen, die kolonialrassistische Symbole darstellen, aus öffentlich zugänglichen Bereichen entfernt werden. Auch private Kultureinrichtungen sind in der Verantwortung, für eine rassismusfreie Gesellschaft einzustehen. Zu begrüßen ist zwar, dass anlässlich der Causa „Sarotti-M.“ in Mannheim erstmals eine kritische Auseinandersetzung stattgefunden hat, allerdings belegt insbesondere die Vorgehensweise der Capitol-Geschäftsführung die Notwendigkeit um einen Diskurs über strukturellen Rassismus. Dass der „Sarotti-M.“ in einer möglicherweise karnevalesk verzerrten Version im Capitol hängenbleiben soll, dokumentiert den mangelnden politischen Willen einer Kulturinstitution sich mit der städtischen Realität Mannheims, in der über 40 Prozent der Bevölkerung eine Migrationserfahrung hat, adäquat auseinanderzusetzen. Wir fordern daher die Kulturschaffenden und Kulturpolitiker*innen der Stadt auf, die Perspektiven von Deutschen mit Migrationsgeschichte, Menschen of Colour, Schwarze Menschen und Menschen mit Fluchterfahrungen nicht zu verzerren, unsichtbar zu machen oder zu instrumentalisieren. Denn dies belastet sowohl das Verhältnis zu einem großen Teil der Stadtgesellschaft wie es auch den Glauben an die gelebte Pluralität einer Einwanderungsstadt, in der wir alle gemeinsamen Fortschritte machen wollen, trübt.
Festzuhalten ist, dass der Capitol-Geschäftsführer Thorsten Riehle trotz anfänglicher Behauptungen, das Thema Rassismus ernst zu nehmen und den Prozess transparent aufarbeiten zu wollen, sowohl methodisch als auch inhaltlich kontraproduktiv gehandelt hat. Hinweise, Anregungen, Kritik von Aktivist*innen of Colour und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, wie etwa des Vorstandssprecher Tahir Della, wurden ignoriert. Ausgewiesene wissenschaftliche Expert*innen wurden erst im Nachgang und auf Druck von Ruhan Karakul (Mitglied im von der Capitol-Geschäftsführung einberufenen Beratergremium) angefragt. Eine Einbeziehung des Antidiskriminierungsbüros Mannheims erfolgte lediglich im Rahmen der Einberufung des Runden Tisches und auf die abschließende Sitzung wurde das ADB zu kurzfristig eingeladen. Zu keinem Zeitpunkt war eine deutliche Positionierung des Capitol-Geschäftsführers zu erkennen. Auf den konkreten Veranstaltungen wurden die Vortragenden Jennifer Yeboah (Sozialarbeiterin, Quartiersmanagement Neckarstadt) und Dr. Halua Pinto de Magalhães (Wissenschaftler, Uni Heidelberg) trotz ihrer deutlich formulierten beruflichen, politischen und wissenschaftlichen Expertise zu den Themen Kolonialismus, Rassismus und Migration wiederholt auf eine „Betroffenenperspektive“ reduziert (siehe Bericht in der Rheinpfalz und TV-Beitrag RNF). Im Gegensatz dazu wurde der Position von Prof. Dr. Ulrich Nieß, der zwar der Leiter des Mannheimer Stadtarchivs (MARCHIVUM) ist, aber keine wissenschaftliche Expertise auf dem Gebiet Kolonialgeschichte hat, im Rahmen der Entscheidungsfindung eine gewichtige Rolle gegeben. Seine am 19. Februar 2019 im Capitol präsentierten Thesen blendeten nicht nur die historische und gesellschaftliche Verantwortung Europas gegenüber globalen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen aus, sondern delegitimierten antirassistisches Wissen und Wirken. Dass der Leiter des städtischen Archivs in dieser Hinsicht kritikwürdige Ansichten auf öffentlichen Veranstaltungen vertritt, mithin dem in Aufschwung befindlichen Rechtspopulismus einen Nährboden liefert, ist höchst bedenklich und zeigt die Notwendigkeit der Schulungen für das Personal städtischer Einrichtungen.
Die Bekämpfung von Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mannheim ist eine Stadt, die sich der Vielfalt und Offenheit verschrieben hat. Daher appellieren wir an die Capitol-Geschäftsführung, diesem Anspruch gerecht zu werden, ihre fehlerhafte Entscheidung rückgängig zu machen und die Werbeanlage mit dem Sarotti-M. sofort abzuhängen.
Erstunterzeichner*innen
Tahir Della, Vorsitzender Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland ISD e.V., Berlin
Halua Pinto de Magalhães, Berner Rassismus Stammtisch
Onur Suzan Nobrega, Soziologin, Goethe-Universität Frankfurt am Main