Die “humanitäre Tradition” ist eine Erfindung
“Die Hände, die Wasser schöpfen, stehen für die humanitäre Seite der Schweiz.”
Die offizielle Schweiz hat ihre “humanitäre Tradition” in der neusten hunderter Note verewigt. So selbstverliebt kann wirklich nur der Kapitalismus sein 🙂
Die “humanitäre Tradition” war eine Erfindung der Nachkriegszeit, als sich die Schweiz aus der internationalen Isolierung befreien wollte. Sie ist historisch gesehen ein Narrativ, das sowohl die Kollaboration mit dem NS-Regime verdecken soll, als auch die Neuerfindung der Aussenwirtschaftspolitik in den damaligen europäischen Kolonien als sogenannte Entwicklungspolitik inszenierte (und in vielen Fällen heute genauso unter neokolonialen Konstellationen weiterhin gepflegt wird).
Das Bild der schöpfenden Hände ist dann wirklich auch symbolisch für das aktuelle Selbstverständnis der Schweiz: unseren Wohlstand haben wir uns ja selber hart erarbeitet und wir sind genug Bescheiden um ihn mit dem Rest der Welt zu teilen (wir packen sogar selbst an und schöpfen den anderen das Wasser)…
Dieses Märchen ist nicht nur fern ab von der Realität, es ist auf verschiedenen Ebenen auch gefährlich. Gefährlich im Sinne einer identitätsstiftenden Symbolik und (Nicht-)Zugehörigkeit in Zeiten rechtspopulistischen und identitären Bewegungen. Gefährlich aber beispielsweise auch im Sinne, dass dahinter auch ein Wohlstandsversprechen steckt. Wenn dieses Versprechen wie in Zeiten von Wirtschaftskrisen nicht eingelöst werden kann, oder schon nur wenn die Aussicht besteht, dass es plötzlich bergab gehen könnte, dann kommen wir in den Zustand, in welchem wir aktuell seit der Erdölkrisen der 70er Jahren sind (korrekter den Nachfolgekrisen in den 80ern): im Angstzustand des Wohlstandsverlust. Hauptantrieb vieler politischer Entscheide der vergangenen vierzig Jahre und Kernelement aller bürgerlichen Parteien.